Ringvorlesungen Physik

Unter dem Motto Ringvorlesung „Gestern noch am Katherl, heute in der Forschung” finden am Katherl immer wieder Vorträge von ehemaligen Schülern statt, die jetzt an der Universität und/oder in der Forschung tätig sind.

Professor Dr. Michael Botsch über „Maschinelle Lernverfahren”

Nachdem bereits im vergangenen Schuljahr zwei ehemalige Katherl-Schüler von ihrer aktuellen Forschungstätigkeit berichtet hatten (der Physiker Dr. Alexander Merle über Dunkle Materie und der Mathematiker Prof. Dr. Richard Peter über Entscheidungsverhalten unter Unsicherheit), besuchte uns am 10. November Professor Dr. Michael Botsch von der Technischen Hochschule Ingolstadt. Herr Botsch legte 1998 an unserer Schule die Abiturprüfung ab und studierte an der TU München Elektro- und Informationstechnik. Nach Promotion und Tätigkeit in der Automobilindustrie wurde er 2013 Professor für Fahrzeugsicherheit und Signalverarbeitung an der THI.

 

Der Titel seines interessanten Vortrags vor Schülern der Jahrgangsstufen 10 und 11 lautete „Maschinelle Lernverfahren und deren Anwendungen in der Fahrzeugsicherheit”. Zunächst erhielten wir einen Überblick über aktuelle Anwendungen maschineller Lernverfahren. Besonders beeindruckte die Quote von „DeepFace” bei der Zuordnung von Gesichtern zu Menschen. Die Erkennungsrate ist momentan 97,35% (Menschen schaffen mit 97,53% nur unwesentlich mehr). Bei der Gelegenheit warnte Herr Botsch die Zuhörer davor, zu bereitwillig Daten in sozialen Netzwerken preiszugeben und allzu sorglos beim Einstellen von Bildern zu sein. Prinzipiell wäre es schon heute möglich, eine unbekannte Person mit dem Smartphone zu fotografieren und über eine App (die es Gott sei Dank noch nicht gibt) Informationen wie Name, Beruf und Hobbies der Person zu erhalten. Ein unheimliches Szenario!

 

Anschließend wurden wichtige Begriffe erklärt, die auch in den Medien immer auftauchen. Bei Künstlicher Intelligenz (KI) unterscheidet man zwischen starker KI (Fähigkeit, Probleme zu erkennen, zu analysieren und kreativ zu lösen; bisher nur möglich in Science Fiction-Filmen) und schwacher KI (Simulation einer intelligenten Handlung, für die Menschen wesentlich mehr Zeit brauchen; vgl. Siri, Deep Blue etc.). Außerdem ging es um die Begriffe Big Data, Data Mining, Mustererkennung und Deep Learning.

 

Die Methode der Entscheidungsbäume wurde am Beispiel einer Situation diskutiert, in der nach einer Lenkbewegung die Frage beantwortet werden muss, ob der Fahrer ein Ausweichmanöver gestartet hat und eventuell Unterstützung durch die Fahrerassistenzsysteme braucht.

 

Daten über die Umgebung eines Fahrzeugs werden mit Kameras gesammelt. Eine zentrale Aufgabe bei der Nutzung von Kameras ist die Objektklassifikation: Handelt es sich bei einem registrierten Objekt um ein Fahrzeug, einen Fußgänger, einen Bordstein, ein Verkehrszeichen...? Ziel der Situationsinterpretation ist die Vorhersage von Bereichen, in denen sich Verkehrsteilnehmer in einer bestimmten Zeit befinden werden. Dazu muss auch die Geschwindigkeit aller Beteiligten ermittelt werden: Wie schnell ist das entgegenkommende Fahrzeug? Wohin und mit welchem Tempo bewegt sich ein Radfahrer oder Fußgänger. Dabei geht es um Entscheidungen wie „Ist ein Ausweichen möglich oder nicht?” oder „Soll eine Vollbremsung eingeleitet werden?” Zur Vorhersage gehört auch die Schätzung der Crashschwere als weitere wichtige Frage.

 

Bei dem interessanten Vortrag von Prof. Botsch wurde deutlich, welch immenser Aufwand nötig ist, damit eine Maschine blitzschnell die richtigen Entscheidungen bei der Unterstützung eines Autofahrers trifft. Die Schüler sahen, wie selbst bei gewöhnlichen Situationen im Straßenverkehr anspruchsvolle Methoden aus den Fächern Mathematik, Physik und Informatik zum Einsatz kommen und konnten erkennen, dass viele Dinge, die sie in der Schule lernen (müssen), notwendige Voraussetzung für Anwendungen in der Praxis sind. Die im Unterricht oft gestellte Schülerfrage „Wozu braucht ma des?” wurde in der Vorlesung des sympathischen Professors in beeindruckender Weise beantwortet.

 

Dr. Alexander Merle über „Dunkle Materie”

Den Auftakt der Vorttragsreihe machte am 1. Februar 2016 Herr Dr. Alexander Merle, der 2001 an unserer Schule das Abiturzeugnis überreicht bekam. Er studierte Physik an der TU München und nach Stationen in Heidelberg, Stockholm und Southampton kam er an das Max-Planck-Institut für Physik in München. Hier ist er im Bereich der theoretischen Physik tätig, seine Forschungsgebiete sind Teilchenphysik (er beschäftigt sich z. B. mit Neutrinos), Kosmologie und mathematische Physik.

 

Der Titel des spannenden Vortrags lautete „Dunkle Materie – Science ohne Fiction”. Den anwesenden Schülerinnen und Schülern aus der Q11 und Q12 wurden auf unterhaltsame Weise äußerst interessante wissenschaftliche Fakten vermittelt. Nebenbei konnten sie sich davon überzeugen, dass Wissenschaftler nicht zwangsläufig Langweiler sind.

 

Nach einem kurzen Einblick in das Standardmodell der Elementarteilchen erfuhren die Zuhörer, dass nur 4,6% des Universums „herkömmliche” Materie ist (dazu zählen z. B. die Planeten, Sterne und auch alle Lebewesen). Zu 23% besteht das Universum aus dunkler Materie (der Rest ist dunkle Energie). Es gibt also etwa fünfmal so viel dunkle Materie wie normale Materie.

 

Dunkle Materie heißt deshalb „dunkel”, weil sie nicht sichtbar ist. Herr Dr. Merle erläuterte, dass man trotzdem einiges über die dunkle Materie weiß:

  • Licht geht durch sie hindurch, ohne mit ihr zu reagieren (anders als bei Glas, denn Glas lässt z.B. UV-Licht nicht durch)
  • Sie ist elektrisch neutral (sonst würde sie mit Licht reagieren)
  • Sie hat Gravitationswirkung

Herr Dr. Merle erläuterte Indizien für die Existenz der dunklen Materie:

  • Bei der Analyse der Umlaufgeschwindigkeiten von Sternen in Spiralgalaxien stellte man fest, dass die äußeren Sterne viel schneller um das Zentrum rotieren, als sie nach den Gesetzen eigentlich „dürfen”. Rechnungen zeigen, dass die beobachtete Rotationsgeschwindigkeit korrekt ist, wenn man bei den Rechnungen die Anwesenheit einer dunklen Materie berücksichtigt.
  • Licht, das an dunkler Materie vorbeigeht, wird durch die Gravitation abgelenkt und diese Ablenkung kann beobachtet werden (die dunkle Materie fungiert in diesem Fall als Gravitationslinse).

Auch hier liefern Rechnungen, bei denen die dunkle Materie einbezogen wird, Ergebnisse, die mit den Beobachtungen übereinstimmen. An den hochinteressanten und lehrreichen Vortrag, der trotz des eigentlich schwierigen Themas anschaulich und unterhaltsam war, schloss sich noch eine angeregte Diskussion an. Am Ende waren sich die Zuhörer einig, dass in den zwei Stunden eine „Physikvorlesung vom Feinsten” geboten wurde. Es wäre nicht verwunderlich, wenn als Folge dieser „Vorlesung” einige Schülerinnen und Schüler über die Möglichkeit nachdenken, ein Physikstudium zu beginnen, nachdem sie gesehen haben, dass Physik spannend ist und ein Physiker durchaus „cool” sein kann.